Das habe ich heute nicht geschafft
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Es gibt Tage, an denen ich wirklich viel schaffe. Also objektiv betrachtet.
Die Waschmaschine läuft, das Kind lebt noch, der Kühlschrank ist gefüllt, meine Arbeit ist irgendwie erledigt und zwischendurch habe ich sogar noch einen Tee getrunken, der nicht komplett kalt war. Klingt doch nach Erfolg, oder?
Und trotzdem liege ich abends im Bett und denke: Mist. Schon wieder nicht geschafft.
Nicht geschafft, Sport zu machen.
Nicht geschafft, diesen einen Anruf zu erledigen.
Nicht geschafft, die Schublade aufzuräumen, die beim Aufziehen klingt, als würde man einen Schwertkampf beginnen.
Und überhaupt: nicht geschafft, mein Leben endlich so perfekt zu organisieren, dass ich morgens aufwache und alles wie von selbst läuft.
Die unsichtbare To-do-Liste
Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber neben meiner offiziellen To-do-Liste (die schon aussieht wie ein mittelguter Roman in mehreren Bänden) habe ich eine unsichtbare. Eine Liste, die sich ganz von selbst schreibt: Dinge, die ich schon ewig mal machen wollte. Dinge, die ich unbedingt heute hätte erledigen müssen. Dinge, die andere angeblich nebenbei schaffen.
Diese unsichtbare Liste hat nur einen Haken: Sie ist endlos. Egal, wie viele Häkchen ich am Tag setze – die Liste wächst schneller nach als Unkraut im Vorgarten.
Leistung ohne Anerkennung
Ich merke mir nie, was ich alles erledigt habe.
Frag mich heute Abend, was ich gemacht habe, und ich sage: „Keine Ahnung, nix geschafft.“
Dabei könnte ich locker eine halbe Stunde lang aufzählen: Essen gekocht, E-Mails beantwortet, Wäsche zusammengelegt, Streit geschlichtet, Kind bespaßt, Blog geschrieben, Ideen gesponnen, Termine geplant, zwischendurch sogar noch das Internet nach Lösungen für Probleme durchforstet, die ich gar nicht habe.
Aber nein. Mein Gehirn speichert nicht den Sieg über den Wäscheberg, sondern nur die eine Socke, die noch im Wohnzimmer liegt.
Die kleine Gemeinheit im Kopf
Warum bin ich so gnadenlos zu mir selbst?
Würde ich einer Freundin sagen: „Schön, was du heute alles geschafft hast, aber hast du eigentlich auch an deine Steuer gedacht? Und warum steht die Pflanze da immer noch so traurig im Eck?“
Natürlich nicht.
Aber in meinem Kopf läuft dieser Kommentar in Dauerschleife. Mein innerer Kritiker ist quasi ein mies gelaunter Sportlehrer: „Mehr Einsatz, mehr Ausdauer, mehr Leistung!“ – und selbst wenn ich am Ende völlig verschwitzt zusammenbreche, ruft er noch: „Da geht noch was!“
Die Sache mit dem Maßstab
Vielleicht liegt das Problem weniger an dem, was ich nicht schaffe, sondern an meinem Maßstab.
Ich messe mich an einer Version von mir, die gleichzeitig organisiert, kreativ, sportlich, liebevoll und humorvoll ist und dabei immer top aussieht.
Also an einer Person, die schlicht nicht existiert.
Und wenn ich es dann nur schaffe, drei von fünfzig Punkten zu erledigen, fühlt sich das an wie Versagen. Dabei wäre es ehrlicherweise ein halbes Wunder, wenn ich überhaupt drei Punkte erledige – und dabei noch halbwegs menschlich aussehe.
Vielleicht mal andersherum denken
Statt mich jeden Abend zu fragen: „Was habe ich heute nicht geschafft?“, könnte ich mich ja mal fragen: „Was habe ich alles geschafft?“
Die Antwort wäre wahrscheinlich: eine ganze Menge.
Vielleicht nicht die großen Lebensprojekte, die sich so schön auf Instagram machen. Aber all die kleinen Dinge, die am Ende dafür sorgen, dass das Leben läuft.
Und wenn es heute eben nur der eine Tee war, den ich in Ruhe trinken konnte, ohne dass er kalt wurde – dann ist das vielleicht schon genug.
Und jetzt?
Ich werde das morgen bestimmt wieder vergessen und abends trotzdem auf die Liste schauen, die nicht kürzer geworden ist. Aber vielleicht kann ich wenigstens zwischendurch kurz daran denken: Perfektion ist kein Maßstab. Und auch wenn die unsichtbare Liste noch kilometerlang ist – das, was ich geschafft habe, zählt trotzdem, und dafür darf ich mir ruhig mal selbst Applaus geben.
💬 Und du?
Schaust du abends eher auf das, was erledigt ist, oder auf das, was noch fehlt?