Ausgeträumt
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Ich bin jetzt in einem Club.
Einem, von dem ich bis vor ein paar Wochen nicht einmal wusste, dass er überhaupt existiert. Es gibt keine Mitgliedsausweise, keine Willkommens-E-Mail und die Beiträge bezahlt man in Jetlag, Fußschmerzen und Bagels zum Frühstück.
Es ist der Club der Menschen, die einmal auf der anderen Seite des Atlantiks standen, zwischen Hochhäusern, hupenden Taxis, überfüllten U-Bahnen und Lichtern, die selbst tagsüber wirken, als wäre irgendwo ein Dimmer falsch eingestellt.
Vorher dachte ich, es gibt grob zwei Sorten Menschen: die, die gern reisen – und die, die lieber zuhause bleiben. Jetzt habe ich das Gefühl, die Menschheit ist heimlich in zwei andere Gruppen geteilt: in diejenigen, die schon einmal in dieser Stadt waren. Und in diejenigen, die (noch) nicht da waren.
Und plötzlich gehöre ich zur ersten Hälfte. Ohne Aufnahmeritual, aber mit sehr vielen Fotos.
Ein Traum mit Rückflugticket
Diese Reise war für mich kein Urlaub, den man halt mal macht, weil die Flüge gerade günstiger sind. Sie war ein Lebenstraum. So einer, der jahrelang in der Schublade „Irgendwann, wenn…“ liegt. Wenn mehr Zeit ist. Wenn mehr Geld da ist. Wenn das Leben weniger dazwischenfunkt.
Und dann war da dieser Moment, in dem „irgendwann“ plötzlich ein ganz konkretes Datum im Kalender hatte. Ich habe diese Tage so aufgesogen, als könnte ich sie für später konservieren. Jeder Blick nach oben zu den Fassaden, jeder Kaffee im Pappbecher, jedes „Sorry“, wenn ich wieder mal im Weg stand, weil ich einfach nur staunend stehen bleiben musste – alles fühlte sich an wie: das ist jetzt. Das ist echt. Das passiert mir.
Ich habe jede Sekunde geliebt.
Und natürlich wusste ich, dass ich irgendwann wieder zurückfliege. In mein kleines, sehr unspektakuläres Leben.
Am Anfang war das sogar ein tröstlicher Gedanke. Dieses „Ich darf wieder nach Hause“. Zur eigenen Bettdecke, zu vertrauten Wegen, zu Menschen, die mich kennen – und nicht nur nach meiner Kreditkarte fragen.
Aber nach ein paar Tagen zuhause hat sich etwas verschoben.
Alltag in Graustufen
Ich sitze wieder an meinem Schreibtisch, laufe wieder durch meinen Supermarkt, hänge wieder Wäsche auf. Alles ist wie vorher. Und gleichzeitig überhaupt nicht.
Es ist, als hätte jemand die Sättigung meines Lebens ein bisschen runtergedreht. Nicht komplett grau, aber auch nicht mehr so bunt wie in dieser Erinnerung in meinem Kopf, in der sich alles gleichzeitig bewegt, riecht, klingt und leuchtet.
Ich habe mich zuerst fast geschämt für dieses Gefühl. Mir geht es gut. Ich habe ein Zuhause, eine Familie, ein Leben, das ich mir in vielen Teilen genauso gewünscht habe. Darf man da wirklich sagen: „Gerade fühlt sich alles ein bisschen hohl an“ – nur weil man ein paar Tage in einer spektakulären Kulisse stand?
Aber genau das tut es. Es fühlt sich hohl an.
Nicht, weil mein Leben nichts wert wäre. Sondern, weil ich gemerkt habe, wie sehr in mir etwas lebendig wird, sobald ein Traum nicht mehr nur Traum bleibt.
Falsches Publikum
Ich könnte dieses Gefühl jetzt einfach „Post-Urlaub-Blues“ nennen und es damit elegant wegpsychologisieren. Ein bisschen Müdigkeit, ein bisschen Reizüberflutung, ein bisschen „Der Kontrast ist halt groß“ – zack, Diagnose, Haken dran.
Aber wenn ich ehrlich bin, fühlt es sich nicht nach Blues, sondern nach einem sehr aufdringlichen Hinweis an. So, als würde mein Inneres sagen: „Na, merkste was? So lebendig könntest du dich öfter fühlen.“
Seit Jahren begleitet mich diese andere Vorstellung vom Leben: mein eigenes Ding zu machen, mit all dem, was ich kann und liebe. Ich bin losgelaufen, habe Projekte gestartet, Ideen getestet, Erfolge gefeiert – und trotzdem zwischendurch die leise Überzeugung gehabt, dass das am Ende doch nie „richtig“ reichen wird. Dann sah die vermeintliche Lösung plötzlich wieder nach Bürostuhl, Großraumbüro und Mittagspause zwischen Aktenordnern aus. So ein Leben, in dem man sich einredet, dass Sicherheit wichtiger ist als das Gefühl, am richtigen Platz zu sein.
Denn immer wenn ich versuche zu erklären, wohin ich mit meinem Business eigentlich will, pralle ich erstaunlich oft an einer unsichtbaren Wand ab. Für viele klingt es nett, charmant und sympathisch, dass ich so viel handarbeite und bastle – aber eben wie ein Zeitvertreib, den man abends auf dem Sofa macht, nachdem der „richtige“ Job erledigt ist. Die Vorstellung, dass genau das der Job sein könnte, scheint in den Köpfen um mich herum nicht so richtig vorgesehen zu sein.
Das frustriert mich mehr, als mir lieb ist, weil sich diese Skepsis manchmal in meinen eigenen Gedanken festsetzt. Wenn schon die Menschen in meinem direkten Umfeld nicht glauben können, dass das funktioniert – warum sollte es dann irgendwo da draußen genug Leute geben, die meine Produkte und Workshops wirklich wollen?
Aber dann erinnere ich mich daran, dass das eigentliche Problem nicht mein Traum ist, sondern der Ausschnitt der Welt, mit dem ich darüber rede. Mein Umfeld ist nicht automatisch meine Zielgruppe. Viele hier wissen schlicht nicht, wie sich das anfühlt, wenn man mit den eigenen Händen etwas macht, das nicht aus einer Massenproduktion kommt, sondern aus einem Gedanken, einem Faden und einem „Ich probier das mal“. Sie müssen das nicht fühlen. Ich muss nur die finden, bei denen genau dieses Gefühl längst da ist – und die sich freuen, jemanden zu treffen, der es mit ihnen teilt.
Wenn mein Leben schon in Clubs eingeteilt ist, dann will ich ab jetzt zu denen gehören, die ihr eigenes Ding durchziehen, auch wenn es keiner so richtig versteht. Ich steh schon an der Tür zu meinem nächsten Traum und halte sie einen Spalt offen – kommst du mit?
💬 Und du?
Zu welchem unsichtbaren Club willst du irgendwann dazugehören – und was wäre, wenn „irgendwann“ heute ein Datum im Kalender bekäme?