Kein Weg zurück.

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Vor ein paar Tagen war ich im Büro. Nicht in irgendeinem Büro, sondern in dem Büro – dem Ort, an dem ich bis vor wenigen Monaten einen ziemlich großen Teil meines Alltags verbracht habe. Ich habe ehemalige Kolleg:innen besucht, und es war wirklich schön. Vertraute Gesichter, vertraute Stimmen, vertraute Themen. Dieses angenehme Gefühl, dass manche Menschen auch nach Monaten Pause sofort wieder in den Kopf passen, als hätten sie immer dort gewohnt.

Das Büro selbst ist auch wirklich schön. Stilvoll eingerichtet, hell, bodentiefe Fenster, gute Atmosphäre. Ein Ort, der aussieht wie ein Filmset für „Erwachsene, die ihr Leben im Griff haben“. Fast alles war noch wie früher. Nur Kleinigkeiten haben sich verändert.

Und trotzdem war da kein Nostalgie-Kick. Kein „Ach, damals“ und kein bisschen Sehnsucht. Eher ein nüchternes Staunen darüber, wie vertraut sich ein Ort anfühlen kann, ohne dass er mich noch ruft. Während ich dort war, war alles gut. Es war nett, es war leicht, es war ein schöner Besuch.

Erst als ich wieder auf dem Heimweg war, hat sich die Erkenntnis gemeldet. Nicht still und unterschwellig, sondern wie ein Faustschlag ins Gesicht: Ich will nie wieder hier hin zurück. Und das ist der Punkt, der mich selbst erschreckt hat, weil ich immer dachte, ich hätte dieses „zur Not“ noch im Ärmel. Aber wenn mich sogar die Vorstellung in dieses wunderschöne Büro mit den liebsten Kolleg:innen zurückzukehren, so tief abschreckt, dann ist das nicht nur eine Momentaufnahme. Dann ist das ein Abschied vom ganzen Konzept. Und das ist irgendwie befreiend – und gleichzeitig eine ziemlich klare Ansage an mich selbst: Es gibt kein Zurück mehr.

Stacheldraht

Ich fühle mich deshalb in den letzten Tagen manchmal wie ein zu praller Luftballon. Denn wenn Plan B wegfällt, wird Plan A automatisch… sehr verbindlich. Auf einmal ist da nicht mehr dieses beruhigende Hintertürchen. Kein „zur Not“. Und das macht Druck.

Der Druck ist so groß, dass ich ständig das Gefühl habe, gleich zu platzen. Dann greife ich reflexartig zu meiner altbewährten Beruhigungstablette – diesem Gedanken: „Zur Not kannst du immer zurück ins Büro.“ Nur blöd: Die wirkt nicht mehr. Sie beruhigt mich nicht, im Gegenteil, sie macht es schlimmer. Als hätte mein Körper entschieden, dass dieses „Zur Not“ kein Trost mehr ist, sondern eine Drohung.

Wenn ich diesen Gedanken wirklich schlucken würde, würde ich nicht runterkommen – ich würde explodieren. Weil ich bei der Vorstellung, wieder im Büro zu arbeiten, nicht einfach nur Unlust spüre, sondern fast sowas wie körperlichen Schmerz. Und das ist vielleicht die deutlichste Erkenntnis von allen: Das Sicherheitsnetz, an das ich mich so lange geklammert habe, ist kein Netz mehr. Es ist Stacheldraht.

Und jetzt?

Erkenntnisse sind ja grundsätzlich unhöfliche Wesen. Sie kommen nicht in netten, handlichen Portionen, sie kommen nicht mit Anleitung und schon gar nicht zu einem Zeitpunkt, an dem ich innerlich Kapazitäten dafür freigeräumt hätte. Sie kommen einfach. Und dann stehen sie da wie ein Pop-up-Fenster, das den ganzen Bildschirm blockiert. Kein kleines X, kein „später erinnern“, kein „jetzt nicht“. Ich kann nur auf „Akzeptieren“ klicken – und das ist ein bisschen frech, weil ich das Update gar nicht bestellt habe.

Was ich aber inzwischen verstanden habe: Stacheldraht tut nur weh, wenn ich versuche, ihn als Sicherheitsnetz zu benutzen. Solange ich ihn fehlinterpretiere – als „Zur Not“, als Rettung, als weiche Landung – falle ich immer wieder drauf und wundere mich dann über die Schmerzen. Wenn ich ihn aber als das sehe, was er ist, wird’s auf einmal klar: kein Netz, keine Option, sondern eine Grenze. Und Grenzen sind manchmal keine Einschränkung, sondern Orientierung. Das Büro war lange meine gedankliche Rettungsinsel. Jetzt fühlt es sich eher an wie ein Ufer, an dem ich mir jedes Mal die Knie aufschlage, wenn ich versuche, wieder auszusteigen.

Vielleicht ist das aber kein Problem, das ich lösen muss. Vielleicht ist das einfach nur die Information, dass ich wirklich schwimmen lernen will.

💬 Und du?

Welches Zur Not trägst du noch wie ein Sicherheitsnetz mit dir herum, obwohl es sich längst eher nach Stacheldraht anfühlt?

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Ausgeträumt