Das gehört halt dazu
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Und du jetzt auch.
Es gibt Sätze, die klingen harmlos. Fast schon freundlich. Wie ein beruhigendes Schulterklopfen in Satzform.
„Ach komm, das gehört halt dazu.“
Und zack – bist du Teil von etwas. Von einem großen, unausgesprochenen Gesellschaftsvertrag, den du nie unterschrieben hast. Vielleicht nicht mal gelesen. Aber abgelehnt wird hier nicht.
Denn „das gehört halt dazu“ ist die weichgespülte Schwester von „Stell dich nicht so an!“
Nur in hübscherer Verpackung. Ohne Ausrufezeichen, aber mit Erwartungshaltung.
Manches gehört wirklich dazu.
Versteh mich nicht falsch:
Es gibt Dinge, die gehören tatsächlich dazu.
Nicht, weil sie schön sind. Sondern, weil sie erwartbar sind. Logisch. Fast schon naturgesetzlich.
Zum Beispiel, dass du Fehler machst, während du etwas Neues lernst.
Dass du deine Wäsche waschen musst, wenn du saubere Sachen im Schrank haben willst.
Oder dass du einen Führerschein machen musst, wenn du Auto fahren willst – ob dir der Fahrprüfer sympathisch ist oder nicht.
Ja. Das gehört dazu.
Das sind keine Gemeinheiten des Lebens, sondern eher: Grundbedingungen.
An denen kannst du dich reiben und dich darüber aufregen – aber sie folgen einer bestimmten Logik.
Ganz anders verhält es sich mit Situationen, in denen „Das gehört halt dazu“ als rhetorische Decke über Situationen geworfen wird, die eigentlich nach Mitgefühl schreien - aber unbequem sind.
Wo es nicht mehr um Sachverhalte geht, sondern um Gefühle.
Um Schmerz. Erschöpfung. Grenzüberschreitungen.
Weil wir nicht wissen, was wir sonst sagen sollen.
Weil wir gelernt haben, dass Schwäche peinlich ist.
Oder weil es einfacher ist, so zu tun, als wäre alles ganz normal.
Dann ist der Satz kein neutraler Hinweis mehr –
sondern ein „Stell dich nicht so an“ im Tarnanzug.
Ein sprachlicher Kurzschluss, der aus einem echten Problem ein persönliches Versagen macht.
Der Trost, der keiner ist
Denn „Das gehört halt dazu“ sagt man gerne in Situationen, in denen jemand kurz davor ist, die Nerven zu verlieren. Oder schon mittendrin.
Wenn du weinend in der Küche sitzt, weil dein Körper nach drei Jahren mentaler Dauerbelastung einfach nicht mehr mitmacht – und dir jemand sagt: „Ja, das Elternsein ist halt kein Ponyhof.“
Wenn du auf dem Spielplatz versuchst, einen Meltdown deines Kindes zu begleiten, während die anderen Eltern demonstrativ weggucken – und du abends von deiner Mutter hörst: „Früher hätte es sowas nicht gegeben.“
Wenn du das dritte Wochenende in Folge alleine mit den Kindern verbringst, weil dein Partner arbeitet oder „auch mal Zeit für sich braucht“ – und du dich fragst, ob das hier eigentlich noch Partnerschaft ist oder unbezahlte Care-Arbeit in hübscher Verpackung.
Und dann kommt dieser Satz.
Nicht böse gemeint. Vielleicht sogar liebevoll.
Aber er trifft dich wie ein Wattebausch aus Beton.
Die unsichtbare Pflicht zur Erduldung
„Das gehört halt dazu“ ist kein Trost.
Es ist ein Ticket zur Selbstverleugnung.
Ein Codewort für: „Bitte nicht beschweren. Andere schaffen das auch.“
Ein bisschen wie: „Du bist halt empfindlich.“ – nur im Kuschelpulli.
Und ehe du dich versiehst, fragst du dich nicht mehr:
Muss ich das wirklich machen?
Sondern nur noch: Warum bin ich so schlecht darin, es einfach durchzuziehen?
Wer entscheidet eigentlich, was dazugehört?
Manchmal frage ich mich, wo eigentlich dieses geheime Regelwerk liegt.
Wer hat es geschrieben?
Wer darf es erweitern?
Und: Gibt es irgendwo eine Kündigungsfrist?
Denn wenn alles dazugehört –
die Überstunden, die Schuldgefühle, die Rückenschmerzen, die lärmenden WhatsApp-Gruppen, das freundliche Lächeln beim „Danke, dass Sie gewartet haben“ nach 48 Minuten Warteschleife –
dann bleibt am Ende nicht viel übrig, was nicht dazugehört.
Dann sind Müdigkeit, Frust und Selbstzweifel keine Warnzeichen mehr, sondern Standardausstattung.
Vielleicht sollten wir den Satz anders benutzen
Vielleicht geht es gar nicht darum, ob etwas „dazugehört“ –
sondern darum, wie wir mit Menschen sprechen, wenn sie gerade an etwas zu knabbern haben.
Denn es macht einen Unterschied,
ob ich sage: „Ja, das ist leider oft so – soll ich dir was abnehmen?“
Oder eben: „Tja, gehört halt dazu.“
Der eine Satz öffnet ein Gespräch.
Der andere schließt es ab.
Mit einem Punkt. Und manchmal auch mit einem Fragezeichen an der eigenen Belastungsgrenze.
Was wäre, wenn wir uns selbst und anderen öfter zugestehen würden,
dass manche Dinge zwar dazugehören –
aber trotzdem anstrengend, schmerzhaft oder überfordernd sein dürfen?
Dass wir uns nicht schämen müssen,
wenn wir unter dem Gewicht des Alltäglichen manchmal einknicken.
Auch dann nicht, wenn das Gewicht laut Gesellschaftsvertrag „völlig normal“ ist.
💬 Und du?
Was war dein persönlicher „Das gehört halt dazu“-Moment – und wie hat er sich wirklich angefühlt?
🧩 Dieser Text ist Teil meiner Blogserie „Worte, die wirken“ und - Überraschung - immer noch nicht das Staffelfinale. Eventuell bin einfach noch nicht bereit diese Staffel zu beenden.