Das macht man nicht!
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Eigentlich wollte ich heute das Staffelfinale zu Staffel 3 - “Worte, die wirken” schreiben, aber dann hat sich doch noch ein Satz aufgedrängt, der dringend noch abgehandelt werden wollte.
„Das macht man nicht.“
Ein Satz, der klingt wie ein Aktenordner, der dir kommentarlos vor die Füße geworfen wird. Plötzlich liegt er da, blockiert den Weg – und erwartet, dass du ihn ungefragt durcharbeitest.
Ich weiß nicht, wie’s dir geht, aber ich höre diesen Satz innerlich ziemlich oft. Wenn ich einen Brief nicht beantworte. Wenn ich morgens nicht dusche. Wenn ich meine Steuererklärung mit einem „Haha, nein.“ beantworte. Und das Absurde? Ich höre ihn in einer Tonlage, die mir vertraut vorkommt – aber ich kann sie keiner konkreten Person zuordnen. Es ist eher ein diffuses Raunen, ein moralischer Nebel, ein interner Gremiumbeschluss.
Wer ist eigentlich dieser „man“?
Ich habe lange gedacht, „man“ sei einfach ein Synonym für „alle“. Oder wenigstens „die Vernünftigen“. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird: Dieser „man“ ist nicht echt. Er ist eine synthetische Autorität, zusammengesetzt aus Tanten, Lehrkräften, Versicherungsangestellten, Hinweisschildern und alten Damen im Bus.
„Das macht man nicht“ ist ein Satz ohne Urheber, aber mit erstaunlich viel Macht. Er steht nicht zur Diskussion. Er duldet keinen Widerspruch. Er hat kein Argument – nur ein Urteil. Und gerade deshalb sollten wir öfter mal fragen: Warum genau nicht? Was passiert, wenn ich es doch mache? Wird jemand sterben? Wird ein Eichhörnchen explodieren? Oder ist es einfach nur… ungewohnt?
Regel oder Reflex?
Ich glaube, viele „Das macht man nicht“-Momente sind keine Regeln, sondern Reflexe. Automatisierte Reaktionen auf anerzogene Erwartungen – still übernommen, nie hinterfragt.
Ich lehne eine Einladung zum Brunch ab, weil ich einfach mal keinen Bock auf Menschen habe. Kein Migräne-Notlüge, kein Terminkonflikt – einfach: nein. Und obwohl ich höflich bleibe, spüre ich es sofort: Das macht man nicht.
Oder ich lege mich nach dem Frühstück nochmal ins Bett – nicht wegen Krankheit oder Jetlag, sondern aus Prinzip. Weil’s geht. Und während ich mich wohlig einkringle, höre ich irgendwo in der Ferne die empörte Stimme einer unsichtbaren Instanz: Also bitte, das macht man doch nicht!
Und dann wäre da noch diese WhatsApp-Nachricht, auf die ich erst nach fünf Tagen antworte. Gelesen habe ich sie natürlich schon längst. Mit blauen Häkchen und schlechtem Gewissen. Aber bevor ich einen passenden Emoji gefunden habe, war es plötzlich Donnerstag. Und irgendwo schreit ein innerer Benimmratgeber leise in ein Kissen: Man antwortet doch nicht einfach… nicht!
Die Liste ist endlos – und nichts davon ist objektiv verwerflich. Aber irgendwas in mir flüstert: Das macht man nicht. Und ich frage mich: Wer hat diesem „man“ eigentlich so viel Entscheidungsgewalt über mein Leben eingeräumt? Vielleicht ist es an der Zeit, ihn mal zu entlassen. Oder ihm zumindest unbezahlten Urlaub zu geben.
Was passiert, wenn wir’s doch tun?
Ich will gar nicht dazu aufrufen, alle gesellschaftlichen Regeln über Bord zu werfen. Es gibt gute Gründe, nicht nackt im Supermarkt einzukaufen oder beim Elternabend laut über die Lehrkräfte zu lachen. Aber zwischen gesundem Menschenverstand und reflexartiger Selbstbeschränkung liegt ein verdammt großes Spielfeld.
Vielleicht lohnt es sich diesen Satz öfter mal zu sezieren: „Das macht man nicht.“
Wer ist dieser man?
Was genau macht er da nicht?
Und vor allem: Warum eigentlich nicht?
Wenn die ehrlichste Antwort darauf lautet: „Na ja… das gehört sich halt so“, dann ist das kein Verbot. Sondern ein stiller Hinweis darauf, dass genau dort vielleicht etwas wartet, das mehr mit dir zu tun hat als mit „man“.
Ein Hinweis darauf, dass du nicht falsch bist – nur weil du es anders machst.
Ein leiser Reminder, dass „man“ vielleicht einfach nur jemand ist, der sich nie getraut hat.
Ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass dort dein Leben beginnt – nicht das der anderen.
Eine stille Kreuzung, an der du anders abbiegen darfst – ohne dich zu rechtfertigen.
💬 Und du?
Wann hast du zuletzt etwas nicht gemacht, nur weil man das nicht macht?
🧩 Dieser Text ist Teil meiner Blogserie „Worte, die wirken“. Was als Nächstes kommt? Vermutlich das Staffelfinale. Wahrscheinlich. Vielleicht. Außer, mir fällt noch was ein, was „man“ vorher unbedingt noch klären sollte.