Die Tage sind lang

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aber die Jahre sind kurz.

Auch wenn du diesen Satz noch nie gehört hast, weißt du sicherlich sofort, was gemeint ist.

Jeder verbindet ihn mit einem Gefühl – manchmal mit Wehmut, manchmal mit einem stillen Seufzer.

Wer Kinder hat, denkt vermutlich sofort an den ganz normalen Familienalltag:

Diese Tage, die sich so sehr in die Länge ziehen, dass man schon mittags auf den Abend wartet, nur um sich dann Jahre später zu fragen, wo die Zeit geblieben ist.

Das Spannungsfeld zwischen dem dringenden Wunsch, dass der Tag bitte endlich enden möge, und der Erkenntnis, wie unverschämt schnell im Rückblick ganze Jahre vergehen, trifft mitten ins Herz.

Ein Tag, der ein ganzes Leben sein könnte

Es gibt Tage, die sind wie ein schlechter Film: zu lang, vorhersehbar – und ich will nur, dass endlich der Abspann läuft.

Manchmal beginnt es schon morgens: Der Wecker klingelt, ich öffne ein Auge, checke die Uhr – und der erste Gedanke ist nicht Guten Morgen, sondern Wie viele Stunden sind’s noch, bis ich wieder hier liegen kann?

An solchen Tagen passiert so viel, dass ich abends denke: Das war doch mindestens eine Woche.

Aufstehen, ein Kind, das partout nicht aus dem Bett will, Frühstück, Brotbox, Diskussionen über Kleidung, Sonnencreme und geeignetes Schuhwerk, Arbeit, E-Mails, Meetings, Wäscheberge, die sich vermehren wie Kaninchen, Hausaufgaben, Einkäufe, Kindergeburtstage, noch schnell dies und das.

Und irgendwann, zwischen Abendessen, der vierten „Ich habe noch Durst“-Runde und dem Versuch, den Löffel im Geschirrspüler so zu platzieren, dass er diesmal sauber wird, frage ich mich, ob dieser Tag wirklich irgendwann aufhört – oder ob ich für immer in einer Zeitschleife gefangen bin.

Diese Tage reihen sich aneinander wie identische Perlen auf einer endlosen Schnur – kaum ist einer vorbei, beginnt der nächste genauso.

Und das sind nur die normalen Tage. Die ohne fiebernde Kinder, geplatzte Termine, kaputte Waschmaschinen oder andere Katastrophen, die einen Ablauf sprengen, der ohnehin schon keinen Spielraum hat.

Mit Kindern ist Zeit ein Gummiband

Besonders mit Kindern hat Zeit eine seltsame Elastizität, als wäre sie ein Gummiband. Sie kann sich dehnen, bis man das Gefühl hat, sie reißt gleich – und gleichzeitig schnellt sie im Rückblick zusammen, als hätte jemand auf Zeitraffer gedrückt.

Es ist absurd: Die Tage fühlen sich manchmal wie ein Marathon ohne Ziellinie an, und trotzdem verschwinden die Jahre, als hätten sie sich heimlich abgesprochen, unbemerkt davonzulaufen.

Heute denke ich: Bitte, lass diesen Tag enden.

Und dann, Jahre später, stolpere ich über ein Foto aus genau dieser Zeit und wünsche mir plötzlich, ich könnte für eine Stunde zurück. Selbst wenn das bedeutet, wieder beim Abendessen zu sitzen und zu diskutieren, ob Brokkoli wirklich ein Baum ist, den man ins Legohaus pflanzen sollte. Nicht, weil die Situation perfekt war, sondern weil sie Teil einer Zeit ist, die nicht wiederkommt.

Das Paradoxon der Zeit

Das ist das Bittere an diesem Satz: Er erinnert mich daran, dass mein heutiges Genervt-Sein irgendwann Sehnsucht sein wird.

Dass ich im Rückblick nicht die Müdigkeit spüre, sondern die winzigen Hände, die sich an meine klammern. Nicht den Lärm, sondern das Lachen. Nicht das Chaos, sondern das Leben darin.

Damals wollte ich, dass der Tag endlich vorbei ist.

Heute würde ich alles dafür geben, an genau diesem Tag noch einmal aufzuwachen – nicht, um ihn zu verändern oder „besser zu machen“, sondern einfach, um ihn noch einmal zu erleben.

Mit all seinem Chaos, seiner Lautstärke und den Momenten, die ich damals kaum beachtet habe, weil ich dachte, sie seien selbstverständlich.

Warum dieser Satz wichtig ist

„Die Tage sind lang, aber die Jahre sind kurz“ bedeutet nicht, dass ich jeden Tag genießen muss – niemand tut das.

Ich muss nicht jede Stunde zelebrieren und aus jeder Situation eine erinnerungswürdige Geschichte machen.

Aber ich sollte mir bewusst sein, dass auch die zähesten, nervigsten und endlosesten Tage irgendwann einfach… weg sind.

Und dass ich im Rückblick oft nicht das Schwere sehen, sondern das Schöne, das dazwischen lag. Nicht, um den Moment zu verklären oder krampfhaft „dankbar“ zu sein, sondern um ihn wahrzunehmen – so wie er war.

Manchmal lohnt es sich, mitten im Alltagschaos kurz innezuhalten und sich bewusst zu machen: Unser Alltag ist die Kindheit unserer Kinder. Und diese Zeit prägt sie wie keine andere Lebensphase.

Wir müssen uns trotzdem keinen zusätzlichen Leistungsdruck machen, als müsste plötzlich jeder Tag ein emotionales Feuerwerk sein.

Es geht nicht darum, jedem Moment künstlich Bedeutung einzuhauchen oder ihn zu inszenieren.

Es reicht, sich ab und zu bewusst zu machen, wie wertvoll diese Zeit ist – selbst wenn sie sich gerade völlig unspektakulär oder sogar anstrengend anfühlt.

Weil es am Ende nicht die Länge der Tage ist, an die wir uns erinnern werden – sondern, dass die Jahre viel zu schnell vorbei waren.

💬 Und du?

Und du? Welcher lange Tag würde dich heute zum Lächeln bringen, wenn du ihn noch einmal erleben könntest?

🧩 Dieser Text ist Teil meiner Blogserie Worte, die wirken“ und die Staffel endet noch immer nicht. Nächstes Mal geht es um diesen einen Satz, der letztlich das Initial für diesen Blog und beginn meiner Reise war.

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