So gesund war ich noch nie krank
Was ich kann, Teil 5: Gesundheit – mit Hindernissen
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Spoiler: Diesmal geht es wirklich um Gesundheit. Kein Lebensgefühl, keine versteckten Metaphern – einfach nur Gesundheit. Also fast.
Früher dachte ich, gesund ist man, wenn man kein Fieber hat. Heute weiß ich: Gesundheit ist, wenn man an einem Montagmorgen aufsteht – ohne Migräne, ohne Bandscheibenvorfall und ohne den Impuls, sich direkt wieder hinzulegen.
Ich hatte nie eine schwere Krankheit im klassischen Sinne. Aber wirklich gesund war ich auch nicht. Migräne hatte ich schon als Kind – so richtig heftig. Die Art von Migräne, bei der dir vom Licht schon schlecht wird, obwohl du dich sowieso schon 20 mal übergeben hast. Die am Freitagnachmittag anfängt und am Montagmorgen endet. Und zwar exakt pünktlich zum Schulbeginn.
Mit 18 wurde es schlimmer. Nicht häufiger, aber heftiger. So heftig, dass ich seitdem regelmäßig im Krankenhaus landete oder der Notarzt vorbeischaute. Mehr als einmal war sich plötzlich niemand mehr sicher, ob es „nur“ Migräne war. Sprachstörung, Taubheitsgefühle, Koordinationsausfall - Verdacht auf Schlaganfall. Ich war gerade mal volljährig – und zum ersten Mal dachte ich: Vielleicht ist das gerade kein schlechter Tag, sondern was richtig Schlimmes. Ich hatte keine Ahnung, was mein Körper da tat. Nur, dass es sich beängstigend endgültig anfühlte.
Am Ende war’s nie ein Schlaganfall. Aber auch nichts, was man mit einem Kamillentee wegkriegt. Es blieb Migräne – in der Deluxe-Version.
Immerhin gab es irgendwann ein Medikament, das die Migräne als das erkennen ließ, was sie war – und nicht als etwas Lebensbedrohliches. Und wenn ich es früh genug nahm, wurde es erträglicher. Nicht angenehm, aber überlebbar.
Heute sind die schlimmen Anfälle seltener geworden. Es können Monate, manchmal sogar Jahre vergehen. Stattdessen? Rückenschmerzen.
Auch die begleiten mich schon seit Schulzeiten. Ich erinnere mich an eine große Pause, in der ich mich auf den Boden setzte – und einfach nicht mehr hochkam. Meine Mutter musste mich abholen. Mein Rücken hatte Feierabend. Verdacht auf Bandscheibenvorfall – mit 16. Zu jung, um das genauer zu untersuchen, kein MRT, nur gut gemeinte Ratschläge.
Das MRT gab es dann aber gut ein Jahrzehnt später. Da war es dann wirklich ein Bandscheibenvorfall. Jackpot. Keine OP – „nicht gravierend genug“. Klingt beruhigend. War’s aber nicht.
Die Rückenschmerzen kamen und gingen. Und irgendwann blieben sie. Richtig hartnäckig. Ich schleppte mich durch den Alltag, durch die Arbeit, durch mein Leben. Bis mein Körper irgendwann die Reißleine zog: Ich konnte nicht mehr gehen. Also wirklich nicht mehr. Meine Beine hatten beschlossen, dass sie streiken. Und ich gleich mit.
Ein weiteres MRT zeigte: zwei Vorfälle, einer chronisch, einer akut, beide nervig. Empfehlung: OP. Ich: auf gar keinen Fall. Ich wollte das alleine schaffen. Und irgendwie habe ich das auch.
Und jetzt? Ab hier geht’s bergauf – allerdings mit Umwegen und ohne Wanderkarte.
Heute geht’s mir gut. Also meistens. Ich habe (meistens) keine Rückenschmerzen. Ich habe (fast) keine Migräneanfälle (außer nachdem ich diesen Beitrag fertiggestellt hatte - welch Ironie). Und ich bin (relativ) gesund. Warum? Nicht, weil ich plötzlich alles im Griff habe – sondern weil ich endlich angefangen habe, auf die Dinge zu achten, die ich jahrelang ignoriert, unterschätzt oder falsch gemacht habe. Ernährung, Sport, Schlaf, mentale Gesundheit. Keine Überraschungen, oder? Und trotzdem musste ich jeden dieser Bereiche auf die harte Tour neu lernen. Hier kommt mein Gesundheitsprogramm – aus Versehen rückwärts entwickelt.
🍽 Wer nichts isst, muss auch nicht kochen.
Früher war Essen für mich kein Bedürfnis, sondern ein Störfaktor. Ich hatte zwei Modi: nichts essen – oder alles auf einmal. Zwischen „komplett vergessen“ und „völlig überfressen“ gab’s wenig Raum für Balance. Ich hatte keine Zeit, keinen Hunger, keine Lust – und irgendwann hatte ich dann Migräne. Oder schlechte Laune. Oder beides.
Meine Verbündeten in dieser Zeit: Müsliriegel. Ist immerhin gesund – steht ja Müsli drauf. Hauptsache, sie ließen sich einhändig beim Laufen, Telefonieren oder Multitasking konsumieren. Und wenn nicht: naja, dann eben erstmal gar nichts und später alles was Kühlschrank und Vorratsschublade zu bieten haben.
Und trinken? Hätte ich beinah vergessen. Morgens gab’s Schwarztee – stark, heiß, mit dem verzweifelten Versuch, die halbe Nacht Schlafmangel irgendwie wegzukoffeinieren. Den Rest des Tages? Habe ich das mit dem Trinken… sagen wir: delegiert. Meist an mein zukünftiges Ich. Leider war das genauso unzuverlässig wie das gegenwärtige.
Manchmal fiel mir abends auf, dass ich außer besagtem Schwarztee nichts zu mir genommen hatte. Kein Wasser, kein Saft, nicht mal eine Suppe. Mein Kreislaufsystem? Ein Vorbild an Leidensfähigkeit. Meine Nieren? Es grenzt an ein Wunder, dass sie nicht einfach gekündigt haben.
Heute weiß ich: Mein Körper braucht regelmäßig Nachschub. Nicht nur, um irgendwie zu funktionieren, sondern um sich gut zu fühlen. Ich esse heute, um gesund zu bleiben – nicht, um den Kreislauf in letzter Minute zu retten.
Deshalb füttere ich mich heute wie einen pflegebedürftigen Bonsai: regelmäßig, vorsichtig, mit Licht, Wasser und einer Prise Disziplin.
🏋🏻♀️ Ich trainiere nicht aus Spaß. Sondern gegen den Schmerz.
„Du brauchst nur mehr Bewegung!“ – ein Satz, den ich ungefähr so oft gehört habe wie „Atmen Sie mal tief durch“. Hilft selten.
Bewegung hatte ich: ich bin rumgelaufen, hab Kinder getragen, Kisten geschoben, das Leben bewegt. Aber stark war ich nicht. Mein Körper war nicht vorbereitet auf die Belastung. Er war wie eine Altbauwohnung ohne tragende Wände – hübsch, aber gefährlich instabil.
Dann kam die Erkenntnis: Schmerz geht nicht durch Schritte weg. Schmerz geht, wenn Muskeln kommen. Ich habe angefangen, meinen Rücken nicht nur zu bedauern, sondern zu trainieren. Gezielt. Hartnäckig.
Heute bin ich stark. Nicht, um Bäume auszureißen – aber um mein Kind durchs Leben zu tragen, ohne dass mir dabei ein Nerv beleidigt die Verbindung kappt.
Denn mein innerer Werner Kieser sagt: „Ein starker Körper kennt keinen Schmerz.“ Ich arbeite noch daran, das zu bestätigen. Aber es fühlt sich schon ziemlich gut an.
💤 Ich war nicht müde. Ich war zerschöpft.
Schlaf war für mich lange ein Luxus, den ich mir nicht leisten wollte. Ich dachte, ich könnte mit 5 Stunden durchkommen, wenn ich nur ehrgeizig genug bin. Heute weiß ich: Ich bin nicht produktiver, wenn ich müde bin. Ich bin nur reizbarer. Und weniger gesund.
Ich habe mir selbst die Nächte gestohlen, weil ich tagsüber keine Zeit für mich hatte. Der einzige freie Moment war nachts – also blieb ich wach. Mein Körper hat dabei zugesehen, wie ich mich selbst sabotiert habe, und mich mit Kopfschmerzen und Schwindel bestraft.
Heute weiß ich: Schlaf ist nicht verhandelbar. Mein Körper kündigt sonst still – aber nachhaltig.
Ich gehe inzwischen früher ins Bett. Nicht immer gern, aber mit wachsendem Verständnis dafür, dass man sich den Schlaf, den man sich nachts klaut, morgens nicht mehr zurückwünschen kann – selbst wenn man ihn dringend gebraucht hätte.
🧠 Ich hab alles geschafft - und mich gleich mit.
Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass mein Körper nicht gegen mich arbeitet, sondern für mich. Migräne, Rückenschmerzen, Erschöpfung – das war keine Sabotage. Das war ein Feueralarm.
Mein Körper hat nicht plötzlich gestreikt. Er hat vorher geflüstert. Ich hab nur nicht hingehört. Also hat er irgendwann geschrien. Und das kann ich ihm nicht mal verübeln.
Was ich damals nicht verstanden habe: Der Schmerz war nicht das Problem – er war das Symptom. Mein Körper hat ausgedrückt, was ich selbst nicht zugeben wollte: dass es zu viel war. Nicht laut, nicht dramatisch – aber konstant. Ich war nicht überfordert. Ich war hochfunktional. Zu funktional. Ich habe noch funktioniert, obwohl ich längst kaputt war. Ich war einfach dauerhaft ein kleines Stückchen über der Belastungsgrenze. So ein leises Zuviel. Jeden Tag.
Ich dachte, ich müsste das alles schaffen – die Arbeit, die Familie, die To-do-Liste, die Selbstoptimierung. Am besten gleichzeitig und mit einem gewissen Stil. Pausen? Hatte ich keine. Nur kurze Momente des Zusammenbruchs, die ich produktiv als Denkpausen verkaufte.
Selbstfürsorge war für mich lange ein Marketingbegriff. Irgendwas mit Lavendelbad und Kerzen. Heute weiß ich: Selbstfürsorge ist, sich selbst wichtig zu nehmen – auch wenn niemand zuschaut. Auch wenn dafür was anderes liegen bleibt.
Ich hab früher oft Ja gesagt, obwohl ich innerlich schreiend Nein meinte. Aus Angst, jemanden zu enttäuschen oder einfach nicht genug zu sein. Heute sage ich öfter Nein. Nicht aus Trotz, sondern aus Respekt – mir selbst gegenüber. Denn wer immer Ja zu anderen sagt, sagt irgendwann Nein zu sich selbst. Und das tut weh. Leise. Und lange.
Ich sage allerdings auch heute noch häufig ja. Zum Beispiel zu Kuchen. Oder absurden Ideen. Ich lerne halt noch.
P.S. Ich habe heute übrigens dreimal Ja gesagt, obwohl ich Nein meinte. Gegessen habe ich irgendwann zwischen „Ich hab eigentlich keinen Hunger“ und „Warum zittere ich plötzlich?“. Getrunken habe ich auch zu wenig, klar. Meine Wasserflasche steht immer noch unberührt neben mir. Pausen gab’s auch keine, dafür Rückenschmerzen ab 14 Uhr. Früher hätte ich das ignoriert. Heute nenne ich es Achtsamkeit mit Verbesserungspotenzial.
📬 Und du? Rundum gesund – oder auch schon mit blinkender Warnleuchte und unauffindbarer Bedienungsanleitung? Meld dich gern, bevor dein Körper in Großbuchstaben kommuniziert. Ich antworte, sobald ich gegessen, getrunken und den Überblick wiedergefunden habe.
🧩 Dieser Text ist Teil meiner Blogserie „Was ich kann“. In der nächsten Folge: Gefühle. Früher habe ich sie wegsortiert - ganz nach unten, unter “reiß dich zusammen”. Heute stolpere ich manchmal drüber. Und bleib kurz liegen.