Chaos, Kopfkino und kreative Krisen: Willkommen in meinem Gehirn

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In meinem letzten Beitrag habe ich angekündigt, dass ich herausfinden will, was ich eigentlich kann. Nicht was auf meinem Lebenslauf steht, sondern das, was bleibt, wenn man die Titel, Stellenbezeichnungen und wohlformulierten Aufgabenprofile mal weglässt. Was kann ich wirklich? Was macht mich aus?

Talentfrei seit 1989

Kreative Menschen können singen, malen, tanzen, musizieren. Ich nicht. Also bin ich nicht kreativ. So einfach war das in meinem Kopf.

Singen? Ohje. Meine beste Freundin aus der Grundschule hat sich mal (nicht unfreundlich, aber doch mit ehrlicher Verzweiflung) darüber beschwert, dass ich immer so schräg singen würde. Bis dahin war mir nicht mal klar, dass mein Gesang anders klingt als der von – sagen wir – Mariah Carey. Turns out: Ich klang nicht nach Mariah Carey, sondern eher wie ein Staubsauger, der rückwärts läuft. Mit einem vollen Beutel.

Und auch Musikinstrumente waren keine Rettung. Ich habe versucht, Keyboard zu lernen, aber selbst der Blockflötenunterricht war größte Herausforderung für mich. Ich höre einfach nicht, wann ein Ton sitzt und vor allem: wann nicht. Ich habe kein Rhythmusgefühl. Keine Geduld für Tonleitern. Kein Gehör für Harmonien.

Zeichnen? Malen? Meine Tochter konnte mit zwei Jahren schon beeindruckend erkennbare Tiere zeichnen – ich zeichne bis heute eher Abstraktes. Nicht, weil ich so modern und künstlerisch bin, sondern weil niemand erkennt, was ich da eigentlich aufs Papier gebracht habe.

Ausmalen? – ja gut, das kann ich. Sehr gut sogar. Aber zählt das?

Und dann war da noch das Tanzen. Ich habe es als Teenager geliebt zu tanzen. In meiner Vorstellung habe ich mich wie eine Göttin über die Tanzfläche bewegt – geschmeidig, wild, frei. Und dann sah ich irgendwann Fotos von einer Party, auf der ich ausgiebig getanzt hatte. Diese Fotos waren … nun ja … schockierend aufschlussreich. Standbilder von mir in voller Bewegung. Oder besser gesagt: in vollem Kontrollverlust. Ich habe sie gesehen und mich fremdgeschämt. Für mich selbst. Es war, als hätte man eine Scheibenwischanlage auf Stufe 4 aufgenommen und behauptet, das sei Ausdruckstanz. Auch tanzen braucht Taktgefühl – und wie wir bereits festgestellt haben: bei mir Fehlanzeige.

Und so war für mich klar: Wenn das der Kreativitäts-Olymp ist, dann sitze ich maximal in der Kantine – ohne Ausblick, aber mit einem sehr bunten Ausmalbuch.

Kreativität ist mehr als Kunstunterricht

Heute weiß ich: Das war ein Irrtum. Ein großer. Gigantisch, wenn man’s genau nimmt.

Denn Kreativität ist sehr viel mehr als schöne Stimmen, beeindruckende Zeichnungen oder tänzerische Leichtigkeit. Klar – wer mit Aquarellfarben wahre Wunderwerke aufs Papier zaubert oder mit einer Gitarre ein ganzes Wohnzimmer zum Schweigen bringt, dem zollen wir zurecht Respekt. Aber das ist eben nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was Kreativität wirklich bedeutet.

Der Duden (ein kluger alter Freund, wenn’s um Definitionen geht) sagt: Kreativität ist die „Fähigkeit, etwas zu erschaffen, was neu und originell ist“. Aha! Das klingt ganz anders als: „Du musst einen Malkasten bedienen können“ oder „Sing bitte mal wie Adele“.

Und plötzlich hat es klick gemacht.

Kreativität ist nicht nur das, was am Ende an der Wand hängt oder auf der Bühne steht – Kreativität ist auch das, was vorher im Kopf passiert. Die Idee, die niemand hatte. Der andere Blickwinkel. Die überraschende Lösung. Die Verbindung zweier Dinge, die vorher nie zusammengehörten. Und plötzlich sehe ich’s klar: Man muss weder mit Pinsel noch mit Stimme noch mit Tutu ausgestattet sein, um kreativ zu sein.

Kreativität ist kein Schulfach. Es ist eine Art zu denken. Meine Art zu denken.

Moment mal – bin ich jetzt ein kreatives Genie oder was?

Denn während ich vielleicht keine Melodien treffe, keine Kunstwerke male und keine choreografischen Meisterwerke aufs Parkett lege, passiert in meinem Kopf etwas anderes: Ich habe Ideen. Immer. Überall. Unaufhörlich.

Mein Gehirn ist ein Ideen-Buffet. Ein All-you-can-think. Es läuft rund um die Uhr und stellt mir ständig neue kreative Häppchen bereit. Beim Einschlafen: Ideen. Beim Aufwachen: Ideen. Beim Frühstück: Ideen. Während Gesprächen: Ideen (leider auch, während andere reden – was manchmal unhöflich wirkt, aber selten böse gemeint ist). Beim Zähneputzen, Wäscheaufhängen, Kind-ins-Bett-bringen, Staubsaugen. Ich kann nicht aufhören, mir Dinge auszudenken.

Und diese Ideen entstehen nicht aus Langeweile. Sie entstehen oft, weil mein Kopf ständig Probleme sucht. Klingt ungesund – ist es manchmal auch. Aber es ist auch ein ziemlich sicherer Beweis für Kreativität.

Denn sobald mein Gehirn ein Problem erkennt, will es es lösen. Nicht irgendwann. Jetzt. Und am besten auf eine Art, wie sie noch niemand vorher ausprobiert hat. Es will basteln, knobeln, kombinieren, umdenken, drehen, wenden, verwerfen, neu ansetzen. Und wenn ich für ein Problem keine schnelle Lösung finde, springt mein Kopf einfach zum nächsten. Oder zum übernächsten. Und sucht dort weiter.

Manchmal sind das ganz praktische Ideen: neue Konzepte, Strukturen, Prozesse, Blogbeiträge, Projekte. Manchmal ist es wildes Kopfkino, manchmal richtig gut durchdacht. Und ja – manchmal überfordert es mich auch. Denn so viele Ideen, so wenig Zeit.

Aber genau das ist Kreativität. Nicht immer nutzbar, nicht immer hübsch. Aber immer lebendig.

Teil 1 einer Serie: Was ich kann (Spoiler: mehr als ich dachte)

Das hier ist der erste Teil einer kleinen Serie über das, was ich kann. Nicht, weil ich mich selbst feiern will. Sondern weil ich lernen möchte, mich realistischer zu sehen. Ohne die Brille alter Selbstzweifel. Und vielleicht erkennst du dich in manchen Zeilen sogar wieder.

Denn wenn sogar ich lernen kann, mich und meine Fähigkeiten realistischer einzuschätzen, dann ist vielleicht auch dein Blick auf dich selbst ausbaufähig.

Bleib neugierig – ich bin’s auch.

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Zwischen Hochgefühl und Panik