Wohin du auch gehst…

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…du nimmst dich selbst immer mit!

Es gab so viele Momente in meinem Leben, in denen ich dachte: Jetzt reicht’s. Ich brauch Tapetenwechsel. Ein neues Kapitel. Andere Luft. Also kündigte ich den Job, zog in eine neue Stadt oder fuhr wenigstens für ein Wochenende ans Meer – in der Hoffnung, die Gedanken zu verlieren, die sich festgebissen haben wie Kaugummi im Teppich.

Was ich dabei gern vergesse: Der Koffer mag neu gepackt sein, die Umgebung fremd, das Café hübscher – aber im Kopf läuft noch dieselbe Playlist wie vorher. Nur dass sie jetzt vielleicht das Meeresrauschen übertönt.

Ich habe diesen Trugschluss öfter gebucht als so manchen günstigen Zug. Und jedes Mal war ich kurz erstaunt, wie zuverlässig ich hinter mir herreise. Mit all meinen Mustern, Sorgen, Gedankenspiralen – und dieser einen Stimme im Kopf, die selbst am Strand noch flüstert: Du solltest produktiver sein.

Immer auf Sendung

Manchmal fühle ich mich, als würde mein Leben heimlich fürs Fernsehen gefilmt. Nicht für einen spannenden Krimi oder eine Netflix-Doku – sondern für eine endlose Reality-Show mit dem Titel: „Was sie wieder nicht hingekriegt hat – Staffel 37“.

Die Kamera läuft immer. Selbst wenn ich alleine bin. Vor allem, wenn ich alleine bin. Sie zoomt rein, wenn ich prokrastiniere. Macht Zeitlupe, wenn ich mir im Gespräch ins Wort falle. Spielt dramatische Musik, wenn ich auf „Snooze“ drücke. Und natürlich gibt es einen inneren Kommentar-Sprecher, der jede Szene süffisant einordnet: „Aha – wieder keine To-do-Liste geschrieben. Das wird Konsequenzen haben.“

Ich weiß natürlich, dass das alles in meinem Kopf passiert. Dass es keinen Sender gibt, der das ausstrahlt. Und doch verhalte ich mich oft, als wäre ich ständig beobachtet – von einer Jury, die streng, aber irgendwie auch gelangweilt ist.

„Wohin du auch gehst…“ heißt also auch: Ich kann der Kamera nicht entkommen. Aber ich kann entscheiden, ob ich ihr noch in die Linse winke – oder ihr irgendwann einfach den Stecker ziehe.

Neue Orte, alte Gedanken

Veränderung ist wichtig. Und manchmal dringend nötig. Aber sie ist kein Wundermittel. Kein Ortswechsel dieser Welt kann aufräumen, was innerlich noch im Umzugschaos liegt. Das habe ich gelernt – nicht nach einem großen Drama, sondern nach vielen kleinen Enttäuschungen.

Nach dem Jobwechsel, der mich kurz euphorisch, aber langfristig genauso ausgelaugt zurückließ. Nach der neuen Wohnung, die zwar mehr Licht hatte, aber meine kreisenden Gedanken trotzdem nicht beruhigen konnte. Nach dem Wochenendtrip in die Natur, bei dem ich zwar atmete, aber trotzdem innerlich weiter hetzte.

Ich habe oft gedacht: Vielleicht fehlt mir nur der richtige Kontext. Die richtige Umgebung. Dann klappt das schon mit der Leichtigkeit. Aber das Problem war nie der Kontext – sondern, zu glauben, es würde reichen, die äußeren Umstände zu verändern.

Der Moment, in dem man das versteht, ist hart – aber auch befreiend. Denn dann hört man auf, das Glück da draußen zu suchen. Und fängt an, den eigenen inneren Grundriss umzubauen. Ohne Abrissbirne. Mit Geduld. Und vielleicht einem neuen Teppich, weil der alte einfach nicht mehr passt.

Ankommen

Was wäre, wenn ich der Ort bin, an dem ich ankomme? Nicht New York. Nicht Bali. Nicht „wenn der Stress vorbei ist“. Sondern ich – jetzt. Mit allem, was ich bin. Auch mit dem, was ich noch nicht verstehe.

Klingt esoterisch, ich weiß. Aber vielleicht ist genau das der Trick: Nicht ständig vor sich selbst zu fliehen, sondern sich endlich zu begegnen. Freundlich. Neugierig. Und ohne das Bedürfnis, sofort alles umzudekorieren.

Denn du nimmst dich immer mit. Aber du kannst dich auch mitnehmen – im besten Sinne. Als Verbündete. Als Begleiterin. Als die Person, die du am meisten brauchst, wenn es holprig wird.

Vielleicht ist das am Ende gar kein Fluch, sondern eine Einladung. Sich selbst besser kennenzulernen. Und den inneren Koffer nicht nur mit Sorgen zu füllen – sondern auch mit Mut, Klarheit und ein paar Snacks für unterwegs.

💬 Und du?

Wohin bist du schon alles geflüchtet – nur um dich selbst dort wiederzufinden?

🧩 Dieser Text ist Teil meiner Blogserie Worte, die wirken“. Was als Nächstes kommt? Vermutlich das Staffelfinale.

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Grübelkeit