Die Sache mit der Schuld.

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Schuld ist ein merkwürdiges Konzept.
Unsichtbar, kaum messbar, aber mit erstaunlicher Sprengkraft.
Sie kann Freundschaften kippen, Familien spalten und uns selbst in tagelangen Grübeleien festhalten – nur weil irgendwer irgendwann etwas falsch gemacht hat.

Wer war’s?

Kaum läuft etwas schief, startet das große Detektivspiel: Wer hat’s verbockt?
Das Kind steht barfuß in der Pfütze – wer hat nicht aufgepasst?
Die Deadline wurde verpasst – wer hat die Mail nicht gelesen?
Das Brot ist angebrannt – wer hat den Timer ignoriert?

Wir sind wahre Meister darin, Ursachen zu identifizieren.
Nicht, um sie zu beheben – sondern, um sie jemandem zuzuordnen.
Weil es irgendwie beruhigend ist, wenn wenigstens klar ist, wer’s war.
Das Chaos im Außen lässt sich leichter ertragen, wenn wir es im Inneren aufräumen können – mit einem klaren Täterprofil.

Schuld hat System

Vielleicht liegt das daran, dass wir mit Schuld aufgewachsen sind.
In der Schule, in Beziehungen, im Straßenverkehr – überall lauern stille Anklagen.
„Wer war das?“ „Das hättest du wissen müssen.“ „Ich hab’s dir doch gesagt.“

Schuld soll Ordnung schaffen, aber meistens macht sie nur starr.
Sie zeigt auf andere – oder auf uns selbst –
und verhindert genau das, was sie eigentlich bewirken soll: Bewegung.
Weil Schuld selten etwas löst.
Sie markiert nur den Ort des Geschehens – und blockiert oft den Weg zur Lösung.

Ich gegen mich

Lange Zeit habe ich die Schuld fast automatisch bei mir gesucht.
Wenn etwas schiefging, war mein erster Gedanke nicht „Wie lösen wir das?“,
sondern „Was habe ich falsch gemacht?“
Ich konnte tagelang darüber nachdenken, welchen Satz, welchen Blick,
welche winzige Entscheidung ich anders hätte treffen müssen.

Heute mache ich das seltener.
Nicht, weil ich plötzlich unfehlbar bin,
sondern weil ich verstanden habe, dass Grübeln keine Wiedergutmachung ist.
Es hält mich nur fest – im Rückblick, im Zweifel, in der Endlosschleife.
Also versuche ich, den Blick nach vorn zu richten.
Nicht: „Wie konnte das passieren?“
Sondern: „Was braucht es jetzt, damit es besser wird?“

Und wenn’s einfach egal ist?

Ich habe außerdem irgendwann gemerkt, dass die Frage „Wer ist schuld?“ fast immer die falsche ist.
Weil sie rückwärts denkt.
Sie schaut auf das, was war – nicht auf das, was werden kann.
Und manchmal, ganz ehrlich, ist es völlig egal, wer schuld ist.
Der Abfluss ist trotzdem verstopft.
Das Projekt trotzdem verspätet.
Die Stimmung trotzdem im Keller.

Was zählt, ist die Anschlussfrage: Und jetzt?

Nicht: „Wer hat’s versaut?“
Sondern: „Wie kriegen wir’s wieder hin?“

Das ist unspektakulär, ich weiß.
Es macht keine Schlagzeilen.
Aber es bringt uns weiter.

Verantwortung statt Schuld

Vielleicht sollten wir das Wort „Schuld“ einfach durch „Verantwortung“ ersetzen.
Verantwortung heißt nicht, dass jemand etwas falsch gemacht hat – sondern, dass jemand etwas richtig machen kann.
Dass da Handlungsspielraum ist.
Dass etwas verändert werden darf.

Und das Beste daran: Verantwortung kann man teilen.
Schuld nicht.
Schuld trennt, Verantwortung verbindet.

Und jetzt?

Ich glaube, die meisten Konflikte würden schneller heilen, wenn wir den ersten Impuls – die Schuldfrage – einfach überspringen.
Wenn wir aufhören, mit dem Finger zu zeigen, und stattdessen die Ärmel hochkrempeln.
Nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Pragmatismus.

Denn ganz ehrlich: Die Welt ist kompliziert genug.
Wir müssen nicht jedes Missgeschick mit einem Schuldigen dekorieren.
Manchmal reicht ein ehrliches „Mist, ist passiert – wie lösen wir’s?“
Denn am Ende geht es selten darum, wer den Stein ins Rollen gebracht hat – sondern, wer bereit ist, ihn wieder aufzuhalten.

Manchmal lässt sich Schuld ohnehin nicht genau zuordnen.
Dann bleibt nur, Verantwortung zu übernehmen – nicht, weil wir schuld sind,
sondern weil wir weiterkommen wollen.

💬 Und du?

Und du? Suchst du noch nach Schuldigen – oder schon nach Lösungen?

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Ich hab’s gegoogelt.

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